Die nun folgende Kurzgeschichte schrieb ich, als ich 17 war. Damals für einen Schreibwettbewerb in der heimatlichen Presse.
Für das erste Greifentelegramm des Verlages Land & Leute habe ich die Erzählung im November 2011 nochmals überarbeitet.
Den Weihnachtsmann gibt
es…
Heute
habe ich beschlossen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ich bin jetzt
sieben und weiß das ganz genau. Die Geschenke kaufen immer Mama und Papa und
verstecken sie im Keller. Am Weihnachtsabend, wenn meine Geschwister und ich im
Kinderzimmer warten müssen, holt Papa sie dann hoch und macht einen Heidenlärm
dabei. Letztes Jahr hatte ich vor dem Poltern und Schnauben noch Angst. Ich
dachte immer, der Weihnachtsmann kommt gleich in unser Zimmer. Doch dieses Jahr
nicht, denn den Weihnachtsmann, ja, den gibt es nicht!
Heute
ist der 23. Dezember. Es schneit schon seit morgens, bitterkalt ist es und
langsam bricht die Nacht herein. Papa hat das Sofa mit Zeitungen bedeckt und
schneidet den Tannenbaum zurecht. So ganz will der nämlich nicht in unsere
Wohnung passen. Der süßlich warme Duft der Tannen erfüllt den Raum. Ich sitze
auf dem roten großen Sessel und schau ihm einfach zu. Vorfreude macht sich
breit, denn gleich bin ich mit meiner Arbeit dran. Endlich, er ist fertig! Vorsichtig
suche ich die Kugeln heraus. Eine silberne, eine rote, eine Schneemannfigur,
ein Hexenhäuschen – Vorsichtig suche ich den Schmuck heraus und hänge ihn mit
leicht zitternden Händen an den Baum. So lange bis kein Platz mehr ist! Dann
sucht Papa Platz für die Lichterkette. Bei uns gibt es eine elektrische, keine
echten Kerzen wie bei dem Nachbarskind. Hoffentlich, funktioniert sie,
hoffentlich! Ein Weihnachtsbaum ohne Lichter ist ja kein echter Weihnachtsbaum.
Mama kommt aus der Küche herein. Ihr folgt ein riesiger Schwall Essensduft:
Süßlich, würzig, warm. Sie bereitet das Essen für den nächsten Tag vor. Sie
steht im Türrahmen und beobachtet uns. Papa und ich sind endlich fertig, wir
schauen sie an. Ein kritischer Blick und dann ein Lächeln von ihr. Wir haben es
gut gemacht!
Am
nächsten Tag wache ich erst gegen Mittag auf. Die Schneeflocken und der Frost
der letzten Nacht haben seltsame Winterbilder an mein Fenster gemalt. Noch im
Schlafanzug tapse ich mit nackten Füßen in die Wohnstube und betrachte den Weihnachtsbaum.
Die Lichterkette ist noch aus. Doch heute Abend wird der Baum hell erstrahlen.
Meine Geschwister werden dieses Jahr nicht da sein. Sie sind erwachsen und
leben zu weit weg von uns. Nach dem Mittagessen ist es wie jeden Nachmittag an
einem Wochenende. Ich lese ein Buch, Papa schläft etwas und Mama liest die
Zeitung. Doch dann gehen wir zu Omi und Opi zum Kaffee. Fast alle meine
Verwandte sind da: Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Die große Altbauwohnung
glänzt. Der Weihnachtsbaum lässt seinen Tannenduft aus der einen Ecke
verströmen, in der anderen knistert der Ofen. Es ist endlich Weihnachten! Es
gibt süßen Kuchen, Plätzchen, Brause für uns Kinder und Kaffee für die Großen.
Opi hat Zeit zum Toben. Er kitzelt uns Kinder, sitzt in seinem braunen
Lederschaukelstuhl und schaukelt uns wild umher. Dann ruft Omi ihn. Einmal muss
Schluss sein – sagt er und verschwindet lächelnd mit Omi im Schlafzimmer. Ich
weiß, jetzt gibt es die Geschenke! Ich bin aufgeregt, denn die Geschenke wird
es nicht einfach nur so geben. Mein Gedicht habe ich schon Tage vorher fleißig
gelernt. Dann endlich nach einer halben Ewigkeit kommen meine Großeltern mit
dem riesigen orangen Wäschekorb heraus. Er ist über und über mit Geschenken
gefüllt. Jeder muss ein Gedicht aufsagen oder ein Lied singen, jeder bekommt
etwas aus diesem Korb. Endlich bin ich an der Reihe. Mein Herz klopft so
aufgeregt bin ich. Doch ich sage nichts falsch, kein Wort, keine Silbe. Bald
nach der Bescherung verabschieden sie die Ersten. Auch meine Eltern und ich
begeben uns auf den Weg nach Hause.
Der
weiße pulvrige Schnee taucht die Landschaft in ein unwirkliches Licht. Es ist
märchenhaft. In so einer Stimmung könnte man meinen, dass es den Weihnachtsmann
doch gibt. Aber ich bleibe dabei: Den Weihnachtsmann gibt es nicht! Ich sammle Schnee in meinem Handschuh,
schmeiß ihn hoch, er rieselt sich in der Luft wiegend zu Boden, reflektiert das
Licht der Straßenlaternen. So ist Weihnachten! Langsam drehe ich mich Richtung
Stadtmauer. Da führt eine Treppe hinunter zur nächsten Straße. Nun komm schon –
ruft Mama und dreht sich zu mir um. Jemand streift mich fast sacht an der
Schulter. Tschuldigung – nuschelt er und läuft die Treppe runter. Mir fallen
fast die Augen aus! Mein Mund steht offen. Ich glaub, ich träume. Mama, das war
der Weihnachtsmann! – rufe ich. Ich bin wie erstarrt. Schaue meine Eltern
fassungslos an. Ja, Schatz und er hat es heute sehr eilig – meint Papa
schmunzelnd. Den Weihnachtsmann, den gibt es doch! Es gibt ihn und ich habe ihn
gesehen!
Heute
bin ich 17. Ich glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann. Doch ein kleiner
Weihnachtsmann steckt in jedem von uns. Wenn wir jemanden an Weihnachten
überraschen, ein liebes Wort für andere übrig haben, dann sind wir der
Weihnachtsmann. Den Weihnachtsmann gibt es noch!
Anja Goritzka
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